Tradition mit Pauken und Trompeten

Wenn am Sonntagmorgen das Regiment zur Großen Königsparade aufzieht, ist das mehr als nur der feierliche Höhepunkt des Schützenfestes. Es ist der Moment, in dem der Neusser Markt zur großen Bühne wird – und Marschmusik eine wichtige Rolle übernimmt. Dann erklingt ein musikalisches Fest, das seinesgleichen sucht.

Schon in der Antike nutzten Heerführer Trommeln und Blasinstrumente, um Befehle zu übermitteln. Etwa im 16. Jahrhundert, entwickelte sich eine eigenständige Kunstform: der Marsch. Mit seinem klaren Takt half er den Soldaten, im Gleichschritt zu bleiben. So wurde das Manövrieren in großen Truppenverbänden einfacher. Außerdem schaffte der Rhythmus ein Gemeinschaftsgefühl und hob die Moral. Wenig später kam ein osmanischer Einfluss hinzu: Pauken, Becken, Triangel und der imposante Schellenbaum verliehen den Aufmärschen den charakteristischen „Tschingderassabum“-Klang.

Im 19. Jahrhundert schließlich wurde Marschmusik zu dem, was wir heute kennen: Professionell komponierte Werke mit künstlerischem Anspruch, gespielt von Blasorchestern in einheitlicher Besetzung. In dieser Zeit wurden unzählige Märsche komponiert, die immer noch oft gespielt werden.

Heute hat Marschmusik nur noch geringe militärische Bedeutung – etwa bei Staatsbesuchen, Appellen oder Gelöbnissen. Doch ihre kulturelle Rolle ist umso größer: Marschmusik ist gelebtes Brauchtum, Herzstück von Schützenfesten, Karnevalszügen und Volksfesten. Sie steht für Gemeinschaft, Tradition und festliche Repräsentation.

Zur Großen Königsparade treten mehr als 60 Klangkörper an – Tambourcorps, Blaskapellen, Fanfarenzüge – mit zusammen mehr als 1.600 Musikerinnen und Musikern. Sie kommen nicht nur aus Neuss und Umgebung, sondern vom gesamten Niederrhein bis hin nach Köln und Aachen, aus dem Sauer- und Münsterland, sogar aus Süddeutschland, Österreich und den Niederlanden.

Viele Musikzüge sind von Mai bis September im Dauereinsatz – Schützenfeste, Gottesdienste, Feste, Frühschoppen. Musik ist ein Hobby, welches Übung und Ausdauer erfordert. Und es ist präzise organisiert: Einsatz- und Antretepläne regeln, wer wann spielt. Die Musikerinnen und Musiker investieren nicht nur Zeit, sondern auch erhebliche Summen in Instrumente und Uniformen.

Auch in der kalten Jahreszeit wird geprobt. Oft werden die Ergebnisse bei Konzerten im Frühjahr präsentiert. Gleichzeitig ist Musik ein soziales Erlebnis: Nach dem Umzug geht’s ins Festzelt, in der spielfreien Zeit auf Vereinsausflüge – Gemeinschaft wird großgeschrieben.

Das Vorurteil, Marschmusik sei eintönig, ist so alt wie falsch. Die musikalische Vielfalt ist enorm.

Es gibt die alten Klassiker wie Preußens Gloria, Graf Zeppelin oder Alte Kameraden. Viele historische Militärmärsche tragen den Namen ihres Regiments oder Herrschers. Zu den Klassikern gehört auch Gruß an Kiel, bis heute bei der Marine gespielt.

Andere Märsche vertonen Landschaften oder Länder. Viele temperamentvolle osteuropäische Märsche fanden nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ihren Weg in die Marschbücher.

Jüngere Werke dagegen klingen oft leichter und fröhlicher, wie zum Beispiel Abel Tasman – eine musikalische Entdeckungsreise mit dem gleichnamigen holländischen Seefahrer.

Auch Neuss hat seine eigenen musikalischen Schätze: etwa den Neusser Schützenmarsch von Heinz W. Hilgers, Ehrenkapellmeister des Musikvereins Holzheim, oder den Marsch der Neusser Schützenlust von Jörg Saatkamp.

Und das Beste: Bei der Großen Königsparade wird kein einziger Marsch zweimal gespielt. Im Vorfeld stimmen sich Kapellen und Komitee genau ab – so wird jeder Schritt von einer neuen Melodie begleitet.

Damit wird die Große Königsparade nicht nur zur Ehrung des Schützenkönigs, sondern zu einem Kulturereignis, das musikalisch weit über Neuss hinausstrahlt. Wenn die Pauken dröhnen, die Trompeten glänzen und der Takt den ganzen Markt in Bewegung versetzt, dann ist klar: Marschmusik lebt – und wie!

Gastbeitrag im Stadt-Kurier vom 23. August 2025

Foto: Rainer Sturm  / pixelio.de