Am Ende des Neusser Schützenfestes steht der „Große Zapfenstreich“ – für die einen ist er überkommenes militärisches Getue, für die anderen ein emotionaler Höhepunkt zum Abschluss der Festtage. Thomas Kaumanns ist Hobby-Musiker (Trompete und Klavier), seinen Wehrdienst hat er beim Heeresmusikkorps 7 der Bundeswehr in Düsseldorf abgeleistet. Für den Stadt-Kurier erklärt er Ablauf und Hintergründe des Großen Zapfenstreichs:
Schon seit der Antike sind abendliche Rituale beim Militär überliefert, die oftmals von Trommeln, Pfeifen, Trompeten oder Hörnern musikalisch untermalt wurden: Im alten Rom wurden dabei die militärischen Führer geehrt, zur Zeit der Landsknechte im ausgehenden Mittelalter gab es Zeichen für den Beginn der Nachtruhe in den Quartieren. Aus dem 18. Jahrhundert ist überliefert, dass Soldaten sich abends zu Betstunden und Predigten trafen, bei denen auch Trommler und Pfeifer spielten. Außerdem war das Rühren der Trommel ein Signal, das Zapfen und Ausschenken im Lager einzustellen. In dieser Zeit wird auch erstmals der Begriff „Zapfenstreich“ erwähnt.
Ein Militärlexikon aus dem 19. Jahrhundert führt diesen Begriff auf die alte deutsche Gewohnheit zurück, dass Polizeibeamten zu einer späten Stunde einen Kreidestrich über die Zapfen der Bierfässer machten. Daraufhin durfte nichts mehr ausgeschenkt werden und die Gäste mussten nach Hause gehen. Eine andere Erklärung ist, dass zum Zeichen des Feierabends auf den Zapfen der Bierfässer geschlagen (gestrichen) wurde.
Aus den verschiedenen Bräuchen entwickelten der preußische König Friedrich Wilhelm III. und der bedeutende Militärmusiker Wilhelm Wieprecht im 19. Jahrhundert den sogenannten „Großen Zapfenstreich“. Wieprecht fügte dazu mehrere traditionelle Zapfenstreichstücke zu einem Zyklus zusammen und ließ sie von einer großen musikalischen Besetzung aufführen. Soldaten mit Gewehr sowie Fackelträger begleiteten die Musiker.
Da die preußischen Traditionen von jeher eine wichtige Traditionslinie der deutschen Streitkräfte bilden, ist der Große Zapfenstreich auch heute noch verbreitet. Er ist das höchste militärische Zeremoniell der Bundeswehr und wird nur zu besonderen Anlässen wie Jubiläen oder Verabschiedungen aufgeführt. Einzelne Stücke dürfen nicht außerhalb des Zapfenstreichs gespielt werden. Zivilkapellen dürfen den Großen Zapfenstreich allerdings ohne Einschränkungen aufführen.
Im Zeremoniell haben sich zwei Überlieferungen des Truppenlebens im Felde bis heute erhalten: der Brauch des Zapfenstreichsignals und die Sitte, Gelegenheit zum Abendgebet über alle Konfessionen hinweg zu geben.
Der Große Zapfenstreich beginnt mit dem Einmarsch der Ehrenformation, die aus Spielmannszug/Tambourkorps, Musikkapelle und einem bewaffneten Zug mit Fackelträgern besteht. Dazu erklingt der „Marsch des Yorck‘schen Korps“ von Ludwig van Beethoven. Wenn alle Aufstellung genommen haben und die Meldung erfolgt ist, wird häufig eine Serenade gespielt, ein kleines Konzert mit meistens drei Musikstücken.
Der erste Teil, also der eigentliche Zapfenstreich zum Ende des Tages, beginnt mit dem „Locken“ der Spielleute (Trommler und Pfeifer). Darauf folgt der „Russische Zapfenstreich“, ein kurzer und flotter Marsch, den das Musikkorps anstimmt. Dieses Musikstück ist ein Traditionselement der Fußtruppen.
Der zweite Teil besteht hauptsächlich aus dem Abendgebet. Es steht im Mittelpunkt der musikalischen Abfolge und wird kunstvoll umrahmt: Eingangs wird die sogenannte „Retraite“ gespielt. Solotrompeter spielen drei “Posten“ (Fanfarenrufe), die ihren Ursprung bei den berittenen Truppen haben. Es folgen das Zeichen zum Gebet durch die Spielleute sowie das Kommando „Helm ab zum Gebet“. Dann ist ein stilles Gebet etwa in der Länge eines Vater unser vorgesehen, so wollte es der preußische König Friedrich Wilhelm III. Das Musikkorps untermalt dieses Gebet mit dem Choral „Ich bete an die Macht der Liebe“ des russischen Komponisten Dmitri Bortnjanski. Das Abschlagen nach dem Gebet (Spielleute) und der Ruf nach dem Gebet (der Retraite ähnlich) bilden einen Rahmen und beschließen diesen Teil des Großen Zapfenstreichs.
Es folgt die Nationalhymne, eine Erweiterung, die erst zu Zeiten der Weimarer Republik vorgenommen wurde. Nach der Abmeldung marschiert die Ehrenformation aus, dazu erklingt noch einmal der „Russische Zapfenstreich“.
Wer den Großen Zapfenstreich live erleben möchte, hat während des Neusser Schützenfestes zweimal Gelegenheit dazu: dienstags gegen 19.45 Uhr im Festzelt und gegen 23.00 Uhr (nach dem Abendumzug) auf dem Münsterplatz.
Foto: Bundeswehr