Smart City ist ein Begriff, der seit dem vergangenen Jahrzehnt verwendet wird, um technologiebasierte Veränderungen und Innovationen in urbanen Räumen zusammenzufassen. Im engeren Sinne gilt eine Stadt als smart, wenn sie die Einflüsse des digitalen Wandels positiv für sich, die Bürgerinnen und Bürger und alle Akteure des Gemeinwesens zu nutzen weiß.
Wer im Internet nach dem Stichwort „Smart City“ sucht, bekommt Städte wie Berlin, Köln, Wien oder Barcelona angezeigt, also große Ballungszentren, Metropolen von internationaler Bedeutung. Die Entwicklung zur Smart City scheint also auf den ersten Blick nur Millionenstädte anzugehen.
Jedenfalls würde man eine Stadt in der Größenordnung von rund 160.000 Einwohnern nicht dort einordnen. Und doch macht die rheinische Stadt Neuss, die sich gern mit den Attributen wirtschaftsstark und sozial schmückt und die den Wettbewerb mit den großen Nachbarn Köln, Düsseldorf, Krefeld und Mönchengladbach nicht scheut, sich auf den Weg, eine Smart City zu werden.
Am Phänomen „digitaler Wandel“ kommt keine Stadt vorbei.
„Der digitale Wandel ist wie die industrielle Revolution“, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel schon vor einiger Zeit festgestellt. Er ist bei weiten kein Phänomen, das nur Techniker angeht, sondern durchdringt mit zunehmendem Tempo alle Bereiche des menschlichen Lebens: Wir kaufen online ein oder lesen Zeitungen und Bücher auf dem Tablet, welches zugleich auch Schulbuch unserer Kinder wird. Unser Home-Office ist Wohnzimmer und zugleich Büro, aber nur, wenn die Internetanbindung stimmt. Und der Tag, an dem die ersten Autos ohne Fahrer über die Straße rollen, ist auch nicht mehr allzu fern.
Innovationsökonomen bezeichnen den digitalen Wandel als disruptiv: das heißt, er hat die Macht, alte Technologien und deren „Player“ zu verdrängen; er sorgt dafür, dass die Karten von Wettbewerbern neu gemischt werden. Das gilt auch im Wettstreit der Kommunen. Eine heute als Industriestandort wirtschaftsstarke Stadt kann abgehängt werden, wenn sie den digitalen Wandel verschläft. Umgekehrt kann eine Stadt, die etwa unter dem Rückgang der Industrie leidet, mit der Digitalwirtschaft zu neuer Blüte gelangen.
Wer in der Kommunalpolitik Verantwortung trägt, kann also nicht die Augen vor dem digitalen Wandel verschließen, sondern wird sich ihm widmen müssen, im Idealfall neugierig und mutig.
„Smart City“ ist mehr als ein digitales Rathaus.
Fragt man Kommunalpolitiker, wie ihre Stadt denn auf den digitalen Wandel reagiert, werden wohl die meisten auf die Internetseite hinweisen, über die man im Idealfall den einen oder anderen Behörden-„Gang“ abwickeln kann. Vielleicht wird noch der Facebook-Auftritt genannt. Und seitdem die Bundesregierung die Versorgung mit schnellen Internetanschlüssen fördert, wird auch der sogenannte Breitbandausbau mancherorts Thema sein.
Auch die Stadt Neuss verfügt bereits über Online-Bürgerdienste (siehe Kommune21, 2/16) und ein kostenloses WLAN in der City; der Breitbandausbau ist ebenso in vollem Gange.
Eine Smart City umfasst aber mehr als ein digitales Rathaus oder eine gute Anbindung an das Internet, wenngleich beides unverzichtbare Bestandteile sind. Eine smarte Stadt zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht bloß auf den digitalen Wandel reagiert, sondern ihn aktiv gestaltet. Sie verordnet sich ein politisch-strategisches Umbauprogramm und macht sich mit ganzheitlichem Blick fit für die Zukunft.
Politisches „Neuland“ braucht neue Arbeitsformen
Der digitale Wandel ist ein Querschnittsthema, das nahezu alle Bereiche kommunalen Handelns berührt. Als solches ist er in der klassischen Aufteilung der Dezernate und Ämter ebenso wenig vorgesehen wie in den politischen Gremien; er kann auch nicht ohne weiteres einem Fachbereich zugeordnet werden.
Deshalb hat der Rat der Stadt Neuss beschlossen, eine „Zukunftskommission Digitale Agenda“ einzurichten. In diesem Gremium arbeiten 15 Vertreter der Ratsfraktionen und bis zu 4 Experten als beratende Mitglieder mit. Die Arbeitsform ähnelt den aus Bundestag und Landtagen bekannten Enquete-Kommissionen, in denen sich Politiker und Fachleute gemeinsam auf den Weg machen, ein Themenfeld politisch zu erschließen.
Diese temporär eingesetzte Kommission soll ein Handlungskonzept „Digitale Agenda“ entwickeln. Dazu hat der Rat Leitziele der Stadtentwicklung vorgegeben:
- Die Wirtschaftskraft und der Wohlstand in Neuss werden vermehrt.
- Die gesellschaftliche Teilhabe und der Gemeinsinn der Stadt werden gestärkt.
- Die Daseinsvorsorge wird effizienter erbracht.
Durch diese Vorgaben wird deutlich, dass der digitale Wandel kein Nischenthema ist, sondern ein zentrales Element künftiger Stadtentwicklung.
Um diese – zugegebenermaßen grob und allgemein gehaltenen – strategischen Ziele zu operationalisieren, hat die Kommission in einem ersten Schritt vier Handlungsfelder gebildet:
- Das Handlungsfeld Infrastruktur umfasst die Versorgungsinfrastruktur (Wasser, Energie, Internet) ebenso wie die Verkehrsinfrastruktur, die Themen Stadtplanung, Bauen und Wohnen sowie Umwelt.
- Zum Bereich Wirtschaft und Arbeit gehören die Weiterentwicklung des Wirtschaftsstandorts Neuss ebenso wie Fragen der Beschäftigung.
- Unter dem Begriff Zusammen leben und lernen sind Bildung und Kultur, Jugend und Soziales, Sicherheit, Gesundheit und Sport zusammengefasst.
- Zum Thema Politik und Verwaltung gehören die verschiedenen Aspekte des e-Governments, womit jedoch nicht nur Verwaltungsvorgänge (e-administration), sondern auch Fragen der politischen Partizipation sowie der Umgang mit öffentlichen Informationen und Daten (Stichwort Open Data) gemeint sind.
Bevor die Mitglieder der Kommission in die vertiefte inhaltliche Arbeit einsteigen, haben allerdings die Neusserinnen und Neusser das Wort. Im Rahmen einer groß angelegten Öffentlichkeitsbeteiligung haben sie die Möglichkeit, Ideen und Anregungen, aber auch Sorgen und Ängste zu formulieren.
Basierend auf den genannten Handlungsfeldern und den Ergebnissen der Beteiligung sowie mithilfe des Inputs der Experten wird die Kommission im weiteren Fortgang die einzelnen Themenfelder durchleuchten und jeweils ganz konkrete Empfehlungen aussprechen, was die Stadt Neuss zur Gestaltung des digitalen Wandels tun soll.
Der Abschlussbericht in Form eines Handlungskonzeptes soll Anfang 2018 fertiggestellt und dem Stadtrat übergeben werden. Dann liegt es an der Politik, diese Vorschläge aufzugreifen, damit Neuss auf dem Weg zur Smart City vorankommt.
Gastbeitrag für „Kommune21“, Heft 6/2016